Entsprechung von Sterben und Einweihung
„Ich bin Isis, alles, was gewesen ist,
und alles, was ist und sein wird;
meinen Schleier hat keiner der Sterblichen je gehoben …“
und alles, was ist und sein wird;
meinen Schleier hat keiner der Sterblichen je gehoben …“
Plutarch, Schriftsteller und
Philosoph der Antike, schreibt:
"Im Sterben widerfährt der Seele
dasselbe wie denen, welche in die großen Weihen eingeführt werden, weshalb auch
das Wort von der Tatsache des Sterbens (teleustan) dem Wort des
Eingeweihtwerdens (teleistai) entspricht."
Das heißt, der Tod ist ein
essenzieller Moment und die Werte und Erfahrungen von “Tod“ und „Initiation“
(Einweihung) sind austauschbar. Initiation ist im Normalfall vom
Individuum frei wählbar. Doch der Tod
ist das unvermeidbare Ende eines individuellen Zyklus. Im Extremfall ist der
Tod sogar das Medium, das dem Einzelnen die Erfahrung des Übergangs in andere
Dimensionen ermöglicht.
Der NEUMOND vom 11.11. hat auf sehr intensive Weise die unbewussten
Wünsche des Menschen in dieser Zeit enthüllt. Als dunkler Mond offenbart er mit
aller Macht das noch ungeborene und archetypische Potenzial des Neuen Menschen,
was im Mythos und auch in dem auseinander gefächerten Lebensspiel des Tarot als
Geburt des (Isis-)Sohnes Horus bezeichnet
wird.
Was kann es bedeuten, wenn der
Name der uralten ägyptischen Muttergöttin (Isis)
plötzlich im 21. Jahrhundert wieder auftaucht – als Name einer islamischen
Terrorormiliz, die im Namen Gottes Menschen tötet? Alle organisierten
Religionen und alle nationalen Staatenbündnisse halten die Spaltung des
gemeinsamen Ursprungs aller Menschen aufrecht durch ihr Beharren auf „mein und dein“ (klick!) – meine
Religion gegen deine Religion, mein Glaube gegen deinen Glauben, mein Gott und
dein Gott… unser Land und euer Land, unsere Kultur und die der anderen.
Das ist der Zustand dieser Welt, der Menschheit und jedes einzelnen Menschen. Jeder
erforsche sich selbst, inwieweit er sich der Tatsache einer geistigen
Verbundenheit und Wesensgleichheit, eines gemeinsamen Ursprungs bewusst ist und
jeden Menschen als Bruder und Schwester einer gemeinsamen kosmischen Mutter
anerkennt.
Von dieser Zersplitterung ist im
ägyptischen Mythos von Isis und Osiris
die Rede, wenn OSIRIS, der das Ganze repräsentiert (die Einheit des Geistes),
vom Widersacher SETH zerstückelt wird, der seine Teile über die ganze Welt
verstreut. Nur ISIS, die trauernde Witwe und ursprüngliche Muttergöttin, ist
aufgrund ihrer Liebe und ihrer magischen Fähigkeiten in der Lage, die Teile
wieder zusammenzufügen und auf den einen heiligen Weg zum Ursprung
zurückzuführen.
Schauen wir einmal hinter den Vorhang der Isis, der das Sichtbare vom Unsichtbaren, das Äußere vom Inneren
trennt. Doch wo Trennung ist, ist auch Verbindung. – Wer will nicht hinter den
Vorhang schauen, wenn es denn schon einen gibt?
Der Archetyp des Weiblichen wird von uns im Zusammenhang mit der Mutter,
dem Mond und der Nacht, dem Meer und der Erde gesehen. Das Weibliche gebiert
das Leben und nimmt es wieder auf in seinen mütterlichen Schoß. Die Vorgänge im
mütterlichen Schoß entsprechen unseren inneren Erfahrungen, unseren verborgenen
Wünschen, Träumen und Ahnungen. Wir
ahnen, dass sich tief in uns in
der Dunkelheit des Unbewussten ein Leben im Verborgenen abspielt. Manche wollen
es ergründen, andere fürchten sich davor, ignorieren und verdrängen es.
Das Weibliche im Tarot
Die Frau, die einen Vorhang zu
einem heiligen Pfad aufzieht (Symbol 20° Skorpion), stellt über ihre Funktion
(Öffnen, Enthüllen, Zusammenfügen) eine Verbindung zur ägyptischen Muttergöttin
Isis in ihrer Rolle als Priesterin
des inneren Tempels her. Wir kennen sie aus dem zweiundzwanzigstufigen Tarot,
wo sie als Hohepriesterin (II) mit
einem Buch oder einer Schriftrolle vor dem Vorhang zwischen den Säulen der
Polarität sitzt. Auf dieser zweiten Bewusstseinsstufe wird der Mensch zum
Suchenden nach der Heiligen Lehre und dem Heiligen Pfad.
Karte III zeigt
sie als Große Mutter, Herrscherin oder
Kaiserin ohne Schleier. Die zwei Welten Geist und Stoff sind in ihr vereint. Darum
erscheint sie sowohl als Sternengöttin als auch als Erdgöttin. Sie hat die
Macht, die beiden Welten zu trennen und zu verbinden. Es hängt von ihr und
ihren Gesetzen (siehe Karte VIII Maat) ab, ob ein Geist sich in dieser Welt
verkörpert oder ob ein verkörperter Geist sich wieder von der materiellen Welt
ablöst und für diese Welt „stirbt“. Sie erscheint im Bild der Isis-Hathor, als Dementer
und Kore, als geflügelte Jungfrau und Stella Maris. Auf der dritten Bewusstseinsstufe
erforscht der Suchende die Geheimnisse der Natur und entdeckt die Einheit von
Körper-Seele-Geist.
Auf der achten Bewusstseinsstufe
zeigt sich der Archetyp des Weiblichen im Bild der Schicksalsgöttin (VIII) und des karmischen Ausgleichs, auch Göttin der
Gerechtigkeit und ägyptische Maat mit dem Schwert in der Hand. Der Mensch ist
aufgefordert, in seinem Inneren eine endgültige Ordnung zu schaffen, die aus
dem Unbewussten aufsteigenden Inhalte zu ordnen und zu analysieren, das Unrechte
vom Rechten zu trennen, zwischen Freund und Feind zu unterscheiden sowie einen
Ausgleich für seine schmerzhaften Erinnerungen zu schaffen. Er wendet sich
seinen eigenen Fehlern zu und erkennt, dass es für jede Handlung eine gleiche
und entsprechende Reaktion gibt (karmisches Gesetz von Ursache-Wirkung).
Nach dem Erreichen eines
objektiven Bewusstseins (VIII), der stillen, doch intensiven Arbeit an sich
selbst (IX) und dem Kampf mit den
Schicksalsmächten (X) erfährt der Mensch die Kraft des Weiblichen als innere geistige
Stärke (XI). Er wandelt seine
niedere, triebhafte Natur, die mächtige Kraft des Körpers und der beiden
sexuellen Ströme durch liebevolle Annahme – nicht durch Gewalt, wie es die
unerlöste männliche Kraft gewohnt ist zu tun. Sieger ist die schöne Frau, die
den Löwen besiegt hat. Sie steht für die LIEBE. Die Liebe im Menschen ist nun zur
größten Kraft der Welt gewachsen. Sie ist das Leben, die schöpferische
Lebenskraft (Kundalini) und die Kraft des Seins. Liebe ist ab jetzt der innere
Drang nach Einheit.
Ab dieser Stufe ist alles
anders. Der Tod (XIII) zerstört alle Scheinwelten und Schein-Ichs, erschüttert
das alte Weltbild und befreit die Seele. Der Zusammenbruch des Alten ist die
notwendige Bedingung für den Durchbruch des Neuen, Ursprünglichen.
Die alchemistische,
verschmelzende Kraft der Liebe beginnt zu wirken, zeigt sich im Bild eines
androgynen Wesens oder Engels der Mäßigkeit
(XIV), der die beiden kosmischen Hauptströme männlicher und weiblicher
Energie mischt bzw. – was noch wesentlich schwieriger ist – im Zustand einer
ständigen Ausgewogenheit hält. Auf dieser vierzehnten Stufe ist der Mensch in
der Lage, die beiden schöpferischen Kräfte nach seinem Willen zu lenken und
damit große Transformationen in sich selbst hervorzurufen. Körperkräfte können
in geistige Kräfte umgewandelt und höhere Bewusstseinsstufen erreicht werden.
Im nächsten Bild der Sterne (XVII) wird Isis zur Quelle der
Lebenswasser für alle Seelen. Wieder ist sie die Himmels- und Sternenkönigin,
die die kosmischen Lebensströme, die universelle Liebe, auf die Erde leitet –
diesmal ist sie nackt, ein reines, göttliches Urbild (Archetyp), und völlig offen. Die himmlischen Qualitäten der Seele
sind voll erblüht und entfaltet. Alle unbewussten Inhalte sind bewusst und
geklärt. Die Göttin verbirgt nichts. Sie ist ein Urbild der reinen und
strahlenden menschlichen Seele, die mit dem Kosmos verbunden ist. Nach dem
Zusammenbruch, dem Tod seiner Persönlichkeit und dem Wegnehmen aller Schleier,
ist vom Menschen nichts anderes mehr übrig, als das, was er in der absoluten
Wirklichkeit ist, ER SELBST – lebendiger Geist. Auf dieser Stufe besitzt er zwar
noch nicht die beiden kosmischen Lebensströme, doch er kann sie beherrschen und
lenken. Seine Erfahrungen des langen Weges und seine gesammelten
Weisheitsschätze gibt er nun andere weiter, spendet positiv-männliche Kraft,
wie Mut, Begeisterung und geistige Anstöße, und schenkt negativ-weibliche Kraft
in Form von Trost, Verständnis und Liebe.
Isis als große Einweiherin an der Schwelle
Karte XVIII, der Mond zeigt den endgültigen Übergang über die Schwelle,
den Zustand zwischen Tod und Geburt ins geistige Leben. Das hier im Bild
Dargestellte entspricht einer Schwellenerfahrung und einem Bewusstseinswandel. Der
Durchgang zwischen den hohen Zwillingstürmen (Säulen von Karte II) ist sehr eng
(das „Nadelöhr“) und wird von den tierischen Hütern der Schwelle bewacht. Der
Mensch ist bereit, endgültig mit seinem Leben in der äußeren Welt
abzuschließen. Wünsche und Neigungen werden abgelegt und überwunden. Jegliche
Art von Anhaftung und Besitz muss zurückbleiben. Umso lauter begehren noch
einmal Ängste und Triebe auf, vor allem der Trieb der Selbsterhaltung und
Arterhaltung, Wolf und Hund. Bilder von geliebten Menschen tauchen auf, wollen
den Menschen auf dieser Einweihungsstufe bei der persönlichen Liebe packen…
Viele gehen den Illusionen und
Trugbildern in die Falle. An dieser Schwelle, wo sie die Möglichkeit haben, in
ihrem irdischen, lebendigen Körper ins geistige Leben hinüberzutreten, packt
sie blanke Todesangst, jetzt wirklich sterben zu müssen und sie klammern sich
verzweifelt an die materielle Welt der Erscheinungen, fallen wieder tief zurück
ins materielle Bewusstsein. Für sie ist die Konfrontation mit ihren Urängsten
das Stadium einer großen Prüfung. Durch wiederholte Stirb-und-werde-Erfahrungen
werden sie lernen müssen, den Tod zu verachten. Notwendig für sie wird der Weg zurück
aus der äußeren Scheinwirklichkeit in ihr inneres Selbst (den Teich mit dem
großen Krebs): Sie ziehen sich in sich selbst zurück und haben die Chance, ihre
seelischen Inhalte und ihr ganzes irdisches Leben zu bearbeiten, zu verdauen
und dann eines Tages hinter sich zu lassen.
Der Mensch, der bis hierhin
keine der Bewusstseinsstufen ausgelassen hat, weiß, dass es keinen Tod und
keine Trennung von Diesseits und Jenseits gibt, sondern nur e i n
Leben, das unsterblich und ewig ist. Wie der strahlende Mond steht dieser Mensch (als reine
Seele) hoch über der irdischen Landschaft, über den heulenden Trieben und
Ängsten, die ihn nicht mehr beißen können, und über seinem alten persönlichen
Leben.
Er befindet sich in einem Zustand,
da Geburt und Tod zusammenfallen. Nackt
ist er zur Welt gekommen, war einfach da, hatte in seinem Bewusstsein weder
Eltern, Freunde noch Besitz. Er erfuhr die Welt als ein zusammenhängendes
Ganzes. Ebenso ist es im Moment des Sterbens. Nichts gehört uns und wir gehören
niemandem. Nur mit diesem Bewusstsein kann die Schwelle übertreten werden.
Wo die irdische Geburt
hineinführt in die Materie und für den herabsteigenden Geist den Tod bedeutet,
so führt das Verlassen der irdischen Welt zu einer Geburt in der geistigen
Welt, zur Auferstehung in ein ewiges
Leben. Aus irdisch-materieller Sicht scheint es ein Leben vor und hinter der Schwelle
zu geben. Ist die Schwelle überschritten, ist die vordergründige Welt des
Scheins gestorben und es existiert nur ein ewiges Leben in Gott – das ewige
Sein. In allem, was ist, wird das Bleibende, Unvergängliche erkannt.
Isis – die richtende Seele
Auf der nächsten Karte mit dem
Titel Gericht oder Auferstehung (XX) ist die Trennung
aufgehoben. Es gibt keinen Schuldigen, keinen Ankläger und keinen Richter. Der
Mensch hat sich selbst neu ausgerichtet. Er ist im Geiste und im Körper neu
geboren und auferstanden. Der neue Archetyp Mensch, der hier zwischen „Vater“
und „Mutter“ aus dem Sarkophag der körperlichen Gefangenschaft aufersteht, ist
das „göttliche Kind“, das die Erlösung in sich trägt. Mit dem Todeserlebnis und
dem abgestreiften Körper-Ich befreit sich die göttliche Seele gleichzeitig von
allen Eindrücken, die sie im Laufe ihres Erdenlebens gesammelt hat. Der Mensch
sieht nun ganz klar seine Beweggründe, Taten und die Auswirkungen seiner Taten
– ungeschminkt, hüllenlos, ohne Ausreden, Beschönigungen und Schuldzuweisungen.
Er richtet sich selbst – und stellt fest, dass er alle Schulden schon bezahlt
hat.
Aus der Perspektive des großen
Engels, der die Posaune bläst, überblickt er sein Leben und die Welt von oben, aus
geistiger Sicht. Er ist leibhaftig in dieser Welt, doch nicht von dieser Welt. Er ist hier wie dort:
ER SELBST. Es gibt keine Instanz mehr außerhalb von ihm. Die Posaune ist seine
innere Stimme, der Ruf, die Berufung. Er ist sein eigenes Wissen und Gewissen,
kennt den Grund seines Daseins auf der Erde. Der Vorhang zwischen den
Polaritäten ist verschwunden. Die göttliche Seele offenbart sich als „Neuer
Mensch“, als Kind von ISIS und dem wieder zusammengefügten OSIRIS. Der Archetyp
SOHN – und ihm ebenbürtig der Archetyp TOCHTER – ist das Kind des Neuen Zeitalters (HORUS). Sohn und Tochter sind das
göttliche Kind, der neue im Geiste geborene Mensch, der eins mit dem Weltgeist
ist.
Bleibt zuletzt noch das Universum oder die Welt (XXI), die sich als junge, tanzende, nackte Göttin im
grünen Kranz der Natur offenbart: Ein Urbild (Archetyp) des ganzen Menschen in
seiner Einheit mit dem Universum. Er ist eins mit dem Sein. In allem, was er
sieht, schaut er Gott. Die Frau stellt hier den weiblichen Aspekt Gottes dar,
Gott als „Mutter“, als sichtbare Schöpfung und Natur (Isis). Sie tanzt im
unendlichen Kreis der Zyklen. Untrennbar verbunden mit dem unsichtbaren
göttlichen Geist offenbart sie im Tanzen und Kreisen die Einheit des Schöpfers
mit seiner Schöpfung.
Bildquellen: (C) Sundra Kanigowski
Tarotkarten nach Oskar Wirth, Crowley/Harris
TAROT, Die 22 Bewusstseinsstufen des Menschen, erläutert von Elisabeth Haich, Drei Eichen Verlag